10.11.2016

Perception is Reality.
Oder: Die gefährliche Methode des Donald T.

Whitelash Millennials vote for Clinton

Keine Ahnung, ob mich die diesjährige Wahl des US-Präsidenten so sehr umtreibt, weil ich mich als bekennender US-Reality-TV-Fan schon seit Jahren über Donald Trump in seiner Rolle des überheblich-eigensinnigen, verlogenen Überbosses in "The Celebrity Apprentice" aufrege, oder weil der diesjährige Wahlkampf tatsächlich so surreal war, dass sich mein sonst so gleichgültiger Geist angesichts dieser um Hilfe schreienden Mehrheitsblödheit doch mal regt, aber ich bin gerade sehr unkonzentriert und bekomme meine themenbezogenen Gefühle auch nicht wirklich sortiert.

Trotzdem möchte ich gern versuchen, von Anfang an aufzubegehren und haue ihnen deswegen hier und heute ein paar Beiträge um die Ohren, die mein überforderter Kopf gerade nicht mit schönen Übergängen verbunden bekommt, die deswegen aber nicht weniger relevant sind.

"Als hätten sich die Populisten das bei Roland Emmerich abgeguckt. [...] Fakten werden zur Verhandlungsmasse – Wahrheit wird ersetzt mit gefühlter Wahrheit." -
 
"Desh mit dem Klimawandel, desh ish gar net so." -

 
Perception is Reality.
 



Lehrstück 1: "Alternative für die Politik - Emotionen statt Fakten" (YouTube | Panorama Archiv | Artikel dazu), ein Beitrag des Magazins Panorama, der in meinen Augen relativ anschaulich und gut verständlich das Phänomen erklärt, das mich an den aktuellen Entwicklungen, in welchen President-elect Trump nur den vorläufigen Höhepunkt bildet, am meisten beunruhigt/ aufregt/ wütend-/ hilflos macht: Der immer stärker werdende, politische Trend, Stimmungen zu erzeugen - zur Not auch durch eine gezielte Auswahl der zweckdienlichen Wahrheiten - anstatt mit einer vollständigen Sammlung an Erfahrungen und Fakten in den Diskurs zu gehen in Kombination mit der Lethargie, der Bequemlichkeit und der Ignoranz des müden Otto Normalverbrauchers, die die Wirkkraft von Polemik und Demagogie überhaupt erst ermöglichen. Die Fachbezeichnung dafür, die ich zugegebenermaßen erst heute gelernt habe, ist die der "Postfaktischen Politik" - wer das nochmal näher erklärt haben möchte, folge dem Wikipedia-Link, oder lese sich hier bei meinem Freund Markus nochmal durch, worum es dabei geht, was das Versagen der etablierten Kräfte damit zu tun hat und warum uns dieses Thema auch in Deutschland dringend beschäftigen sollte:

"[...]
Wir haben viel zu lange geglaubt, dass es eine gute Idee ist den Menschen die Verantwortung für ihr Leben ihnen selbst zu überlassen. Denn die Leute wollen das gar nicht. Sie wollen einen, der sie führt, der ihnen sagt, was sie tun sollen, der ihnen auf die Finger haut, wenn sie Blödsinn machen. Die Leute wollen einen Kuschel-Wohlfahrtsstaat mit Rundum-Sorglos-Paket. Dass das nicht realisierbar ist, ist denen egal. Sie wollen auf jemand anderen zeigen sagen können: 'Du bist Schuld [...]'

Die Leute wollen, dass wieder Dampf im Kessel herrscht und der hin und wieder ordentlich pfeift. Doch das Feuer ist erloschen, weil alles inzwischen so beliebig und verständnisvoll geworden ist.
[...]"

Was mich auch gleich zu meinem nächsten Problem führt: Zu dieser elenden Diplomatie. Wobei ich politikwissenschaftlich nicht annähernd ausreichend beleckt wäre, um über Sinn und Unsinn von bzw. den richtigen und den falschen Zeitpunkt für Diplomatie zu urteilen. Aber offensichtlich ist doch, dass Diplomatie und Political Correctness niemanden mehr hinter dem Ofen hervor locken. Donald Trumps großer Trumpf ist, dass er sagt, was er denkt. Ohne Filter, und ohne auch nur einen Gedanken an eventuelle Konsequenzen zu verschwenden. Bei der Frage, welcher Kandidat glaubwürdiger ist, hätte ich ohne zu zögern ihn angekreuzt. Und so etwas zieht unglaublich heutzutage - da kann man dann auch mal das ein oder andere Mäuschen bei der pussy grabben, immerhin ist man damit wenigstens authentisch. Und wenn man das mal auf das persönliche Miteinander runterbricht, ist es doch wirklich oft so, dass soziale Beziehungen daran kranken, dass sich niemand traut, offen zu sagen, was er denkt aus Angst vor Konfrontation oder gestörten Kreisen. Ich bekenne mich da gern schuldig. Und dieses Verhalten ist stark kultiviert, aber nicht gesund. Weder im Kleinen, noch im Großen. Ich möchte mich nicht all zu sehr in diesem Gedanken verlieren, weil er noch lange nicht zu Ende gedacht ist, aber wer das kennt, weiß vielleicht, was ich meine, und kann die Parallelen zu den größeren Zusammenhängen mitdenken.

Und schließlich noch der obligatorische Vergleich zum dritten Reich, den zwar eigentlich schon seit Monaten keiner mehr hören kann, der halt aber leider immer wieder gebracht werden kann und auch gebracht werden muss, weil es so treffend ist. Und gerade all jenen, die den Wahlausgang heute mit einem relativierenden "Hört auf, euch aufzuregen, das ändert auch nichts am Ergebnis, und nun ist es halt so." verharmlosen wollen, möchte ich auch an dieser Stelle wieder einmal Martin Niemöller ins Gedächtnis rufen:

"Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen - ich war ja kein Kommunist. Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen - ich war ja kein Sozialdemokrat. Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen - ich war ja kein Gewerkschafter. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte."

Regen wir uns auch nicht auf, wenn Trump seine Mauer hochzieht, weil es halt so ist? Regen wir uns auch nicht auf, wenn er anfängt, Menschen in Zügen zu deportieren, weil es halt so ist? Ich möchte auch gerne daran glauben, dass wir im 21. Jahrhundert in einer Zeit leben, in denen sich die deutschen Entwicklungen der 1930er Jahre nicht wiederholen können, aber gerade in einer Welt, in der die oben beschriebene Politik der Stimmungsmache immer stärker an Bedeutung und Einfluss gewinnt, kann man sich dessen niemals sicher sein; dass die Menschheit aus einmal gemachten Fehlern nicht zwangsläufig lernt, ist hinreichend bewiesen, und wenn wir in einer so wohl behüteten Gesellschaft leben, warum dann nicht den Mund aufmachen? Denn ich hege ernsthaft die Befürchtung, dass in gar nicht all zu ferner Zukunft die vernünftigen, besonnenen und weltoffenen Vertreter eines menschlichen Miteinanders der Kulturen nur noch eine kleine Splittergruppe bilden, die als Weiße Rose 2.0 aus dem Untergrund heraus kämpfen muss, weil die Dichter und Denker zu sehr mit Dichten und Denken beschäftigt waren während das Dummvolk sich vermehrt hat wie die Karnickel, und der verbleibende Verstand im Kollektiv geschluckt wird durch feiges Schweigen. Denn wenn man erstmal richtig kämpfen muss, erfordert das echte Courage. Und wer hat die schon.

In "An American Tragedy" erklärt ihnen auch David Remnick noch einmal mit Nachdruck, warum dieser Wahlausgang eine Katastrophe ist, warum Resignation aber auch keine Lösung sein kann, und ebenfalls im New Yorker macht Caleb Crain den "Case Against Democracy" - ein Artikel, für den man zwar ein paar Minuten braucht, den ich aber auch gern noch mit aufnehmen wollte, weil er sich mit der spannenden Frage befasst, die auch ich mir schon seit längerer Zeit stelle, ob denn die Demokratie wirklich das gesellschaftliche Non-Plus-Ultra ist, wenn die Mehrheit der demokratisch Stimmberechtigten sich weder informiert noch irgendetwas kritisch reflektiert.

Denken sie mal drüber nach. In der Zwischenzeit wünschen ihnen diese erlesenen Trump-Gratulanten hier noch eine fröhliche Reichspogromnacht an diesem denkwürdigen 09.11., der nun damit droht, den 11.09. abzulösen (dieses Datum hat einfach alle Symbolkraft, die es nur haben kann), und ich verbleibe derweile mit George Takei:

"Within our hearts we know the society we wish to live in. No one can take that vision from us. We are each of us keepers of that promise. This country has seen wars and grave injustices, slavery and even civil war in its past. Yet we found our way through.

Hold your loved ones close. Tell them that it is in times of sadness and in the toughest of days where we often find our true mettle."

Regt euch auf!
Unity in Diversity!
*plöpp*