05.11.2015

Das kleine Reisetagebuch: Verliebt in einen Berber.


Ja, es ist ein Kreuz mit den Männern. Da reist man extra einen Kontinent weiter, um Abstand zu gewinnen zu all den Irrungen und Wirrungen, die daheim den Geist vernebeln und einen gar nicht dazu kommen lassen, darüber nachzudenken, was wirklich wichtig ist im Leben, und dann steht er da - etwas kleiner als ich, tief braune Augen, und auch noch eine kleine Narbe auf der Wange, und es war um mich geschehen.


Aber von vorn: Zuletzt war ich ja eingekehrt in einer noblen Herberge im Hohen Atlasgebirge. Doch bereits bis da hin war es ein steiniger Weg, denn nachdem ich mich schweren Herzens von meiner Wüsten-Gruppe verabschieden musste, standen wir da, Abdullah, der Trekking-Koch und ich, am Rande einer Straße, an der ab und zu ein Taxi vorbei kommen sollte. Gerüchteweise. Eine dreiviertel Stunde lang war das allerdings nicht der Fall, so dass ich Gelegenheit hatte, das Treiben auf dem Platz des Dorfes zu beobachten - ein sehr entschleunigendes Erlebnis, das mich auch wieder zweifeln ließ, warum sich eigentlich bei uns keine Kinder mehr auf der Straße treffen, wo doch jeder jammert, wie schade es ist, dass sich keine Kinder mehr auf der Straße treffen. Aber dann kam doch das Taxi, und nachdem mir bereits zum ersten Mal ein bisschen Angst und Bange war, weil mein Rucksack nur auf's Dach geschnallt wurde, war ich endgültig ehrfürchtig, als wir irgendwann zu sechst in unserem Taxi saßen - hinten Abdullah, ich und ein fröhlicher Marokkaner, auf dem Beifahrersitz 2 fröhliche Marokkaner, und am Steuer der singende Fahrer. Zwar stand die Abendsonne herrlich tief und unser Weg führte vorbei an Dörfern, die aussahen, als wären sie aus dem Berg gehauen worden, aber ich wagte es nicht, auch nur ein einziges Foto zu machen. Nur, um es nach meiner Ankunft in der Edelabsteige wieder nicht zu wagen, Fotos zu machen, diesmal allerdings aus Ehrfurcht vor den noblen Herrschaften, die im feinen Zwirn durch die Hallen flanierten, auf der Terasse ein Tässchen Tee mit abgespreiztem Finger nahmen und mich relativ skeptisch beäugten, als ich zum erstklassigen Gourmet-Dinner in Jeans und Pullover erschien - das chicste, was ich noch aus meinem Rucksack zerren konnte. So unmittelbar und frontal bekommt man die soziale Schere selten mal um die Ohren gehauen, aber auch das war wieder eine Erfahrung, die ich im Nachhinein nicht missen möchte - nur ein bisschen weniger Ehrfurcht, das habe ich mir vorgenommen für zu Hause.


Und nachdem ich am nächsten Tag noch eine kleine Runde durch den Ort gedreht und anschließend das WLAN noch mal so richtig gemolken hatte, stand er da, 12:35 Ortszeit, strahlte mich an und sagte "Hallo, mein Name ist Hassan, ich bin ihr Guide." ... Ja... emm... ich höre das jetzt in seinem Akzent und schmelze dahin, der geneigte Leser kann diesem Satz wahrscheinlich eher wenig abgewinnen. Aber glauben sie mir, es war wunderschön. Hassan hatte am Morgen die vier Mitglieder meiner neuen Wandergruppe in Marrakesch abgeholt, in Aïd Ben Haddou wurden Abdullah, der Trekking-Koch und ich noch eingesackt und mit dem Minibus ging es anschließend weiter nach Aïd Youl, wo wir am Abend in einem Gästehaus ankamen, das mich fast mehr überforderte, als mein kleines Einmann-Zelt in der Wüste. Denn in meinem Zimmer hatte ich vier Betten, eine Sitz-Toilette mit funktionierender Spülung, eine Dusche mit warmem Wasser, 3 Steckdosen, drei Lampen und sogar Handtücher zur Verfügung. Schnell war also klar, dass der Grad der Entbehrung in der zweiten Wanderwoche weit geringer sein sollte, aber so richtig ordentlich entbehrt hatte ich ja schon die Woche zuvor, deswegen schlief ich dann in Gedanken bei Hassan sehr gut ein, eingewickelt in drei Decken, den Kopf gebettet auf einem großen, weichen Kissen.


Ein kleines bisschen mehr entbehren durften wir in den darauf folgenden Tagen allerdings auch noch, denn bereits das zweite Gästehaus auf unserem Weg durch das Tal der Rosen hielt weder warmes Wasser noch Decken noch Kissen noch eine funktionierende Toilettenspülung bereit, aber im Gegensatz zu meinen Mitwanderern, denen die fehlende Dusche teilweise nicht ganz recht war, fühlte ich mich in meinem Schlafsack auf meiner Schaumstoffmatratze gleich wieder ein bisschen ursprünglicher, und die Eindrücke aus den Tälern der Berber ließen sich in so einem Rahmen auch viel schöner verarbeiten. Beeindruckende Felsformationen in sämtlichen Rot-Schattierungen, die man sich vorstellen kann, grüne Pappel- und Feigenwälder, große Schafherden im Hang und lustige Mulis am Wegesrand wechselten sich ab mit kurzen Abstechern in Dörfer, in denen die Uhren auch noch völlig anders als in Marrakesch ticken, in denen jeder Tourist von einer Horde kleiner Kinder verfolgt wird, die sich wie kleine Schnitzel über jedes Bonbon und jeden Stift freuen, die sie geschenkt bekommen und in denen jede Familie noch ihren eigenen Feuerholz-Haufen am Wegesrand hat.


Habe ich also nun innerhalb von zwei Wochen drei sehr verschiedene Lebenswelten innerhalb eines mir sehr fremden Kulturkreises kennengelernt und sämtliche Aspekte dabei sehr lieb gewonnen – so wirklich steht mir der Sinn noch nicht danach, mich wieder auf den Heimweg zu begeben. Aber zum einen haben meine Mitwanderer inzwischen ermittelt, dass Hassan bereits Frau und Kind hat, und zum anderen hoffe ich, dass es mir diesmal gelingt, wenigstens einen kleinen Teil meiner hier gewonnenen Erkenntnisse auch zurück im alltäglichen Kampf anwenden zu können, damit sich eben jener wieder ein bisschen weniger nach Kampf anfühlt und stattdessen nach einem Weg, den es schön ist, zu beschreiten.

*plöpp *

01.11.2015

Das kleine Reisetagebuch: Im Schatten der Tamariske.

As-salāmu ʿalaikum! Zwar ist es hier noch eine Stunde früher, als in Deutschland, aber nach 5 Tagen in der Wüste und 6 Tagen ohne Dusche oder Waschbecken fühlt sich auch 21:57 schon sehr spät an, daher an dieser Stelle ein kurz gefasster Gruß von meinem Zwischenaufenthalt zwischen Sahara und dem Hohen Atlas! (Wer den genauen Reiseverlauf nochmal nachvollziehen möchte: Hier entlang.)

Nachdem ich drei Tage benötigt hatte, um Marrakesch schätzen zu lernen, ging es am Montag Morgen nach einem Glas frisch gepresstem O-Saft zum Eingangstor meiner lieb gewonnen Hood und dort direkt in den Kleinbus, in dem ich meinen deutschsprachigen Trekking-Führer und meine 5 Mitwanderer kennen lernte - allesamt unglaublich angenehme Menschen, wie sich herausstellen sollte.


Am Montag noch im Dunklen in der Wüste angekommen und im Stirnlampen-Crashkurs schnell gelernt, wie unsere Zelte aufzubauen sind, begann die wahre Wüstenerfahrung am Dienstag nach einem ausgiebigen Frühstück unter der Sonne Marokkos, und die Wüstenerfahrung war wahrlich a humbling experience. Humble/ humility/ humbling ist auch so eine Vokabelgruppe, für die es im Deutschen keine schöne, angemessene Übersetzung gibt. Demütig/ Demut/ demütigend wäre die wörtliche Übersetzung, aber eigentlich meint die englische Vokabel etwas anderes. Demut, gepaart mit Bescheidenheit angesichts des Erlebten... also nicht im negativen Sinne, sondern in dem Sinne, dass das eigene Weltbild wieder ein bisschen zurecht gerückt wird, wenn man für eine gewisse Zeit vor Augen geführt bekommt, dass man zu Hause eigentlich lebt, wie die Made im Speck, und dass es ein wahrer Luxus ist, sich tagtäglich über all die banalen Kleinigkeiten aufzuregen, über die man sich so aufregt.


Und genau diese Begradigung des Weltbildes findet statt, wenn man 5 Tage lang durch die Wüste marschiert, keine einzige Wolke am Himmel, die Sonne erbarmungslos am lachen, der Schweiß gnadenlos am Laufen, die vereinzelten Tamarisken aller 4-5 km die einzige Rettung. Und wenn man die kühlen Nächte auf einer Schaumstoffmatte mit Blick auf die Milchstraße verbringt. Und wenn man irgendwann sogar warmes, stilles Wasser gerne trinkt, weil man das Gefühl hat, zu Staub zu zerfallen. Und wenn man sich am letzten Tag der Tour schwach, schlapp, elend und am Ende fühlt wie ein Klischee-Wüstenwanderer auf Gewaltmarsch, weil man die Nacht davor komplett durchgekotzt hat und beim besten Willen keinen Bissen drin behalten kann. Und wenn man einen 67jährigen Herren kennen lernt, der vor 27 Monaten gesagt bekam, dass er mit 85%iger Wahrscheinlichkeit noch 24 Monate zu leben hat, und der sich deswegen sehr freut, dass sein Traum, einmal durch die Wüste zu wandern, doch noch wahr wird. Und wenn man 5 Tage lang nur in ein Loch in der Erde ka*ken kann. Und [...]


Die Liste ließe sich noch um einiges weiter führen, aber ich denke, sie bekommen eine ungefähre Idee. Und wenn man dann nach erfolgreich bewältigter Wüstendurchquerung auf der Rückfahrt seine eisgekühlte Fanta bekommt, an die man während seines besagten post-emetischen Gewaltmarschs die ganze Zeit gedacht hat, um weiterhin einen Fuß vor den anderen zu setzen, war es das alles gleich nochmal wert.


Der heutige Tag war dann schon wieder fast einen eigenen Blogpost wert, aber da ich mit meiner Zeit gut wirtschaften muss, werde ich gleich nochmal auf der Dachterasse nachsehen, ob meine Wäsche noch hängt oder schon weg geflogen ist und mich danach in meine edlen Daunen verziehen und den Schlaf des Gerechten schlafen. Sehr verdient, wie ich finde.

Guts Nächtle, und
*plöpp*