So. Hier nun mein erster Schritt in Richtung Einhaltung der guten Blog-Vorsätze: Ein herzlicher Gruß aus Afrika! Das klingt irgendwie kosmopolitisch, und weit weg. Wenn man allerdings bedenkt, dass selbst die Kanaren weiter weg sind, als Marrakesch, klingt es schon ein bisschen weniger exotisch. Aufregend ist es nichtsdestotrotz, denn abgesehen davon, dass Kultur und Mentalität in Marokko mit europäischen Maßstäben nicht im Geringsten zu vergleichen sind, ist besonders Marrakesch eine echte Herausforderung für Menschen, die Ruhe, Ordnung und System lieben und für Menschen, für deren Orientierungssinn es bei der Auslosung der Talente leider nicht mehr gereicht hat. Also mich. Wie ich diese Stadt also jemals auf meiner Liste der Wunsch-Reiseziele haben konnte, fragen sie? Ich mich auch. Aber nachdem ich die ersten zwei Tage noch dachte, meinen Besuch hier unter der Rubrik "Muss man mal erlebt haben, aber einmal reicht dann auch" verbuchen zu müssen, bin ich heute auf einmal traurig, nicht noch länger bleiben zu können.
Man (wenn ich "man" schreibe, meine ich mich) findet hier einfach nichts auf Anhieb, die Medina Marrakeschs ist ein elendes Labyrinth, in dem keine, aber auch wirklich keine einzige Straße mit einem Namen versehen ist (also, in den Karten schon, aber in den Straßen leider nicht), selbstverständlich liegt nirgendwo mobiles Internet an, und den Reisetipp in meinem National Geographic-Reiseführer, dass man in der Medina am besten mit einem Kompass beraten ist, hatte ich leider zu spät gelesen. Glücklicherweise gibt es an jeder Ecke freundliche Menschen, die einem gern den Weg zeigen, und auch gern noch vieles mehr zeigen, und alles gleich noch mit erklären - grundsätzlich aber nur gegen einen kleinen Obulus. Den sie erst am Ende ihrer Führung verlangen. Um vorher die Stimmung nicht zu verderben.
Überhaupt ist man bei jedem, der einen anspricht, erstmal "my friend", alles ist "no problem" und alle sind in einer Minute wieder da, und alles, was der geneigte fröhliche Fremdenführer einem zeigen möchte, ist sowieso das Schönste, das Beste, das Älteste, das Authentischste, und "very very old", und "very very special", nur damit man zum Schluss doch wieder zum Verkaufsgespräch in irgendeiner beliebigen Teppichbude sitzt und einen Pfefferminztee schlürft, während man die neuesten Knüpferfolge der Damen des Hauses bewundert. Alles aus reiner Gastfreundschaft natürlich. In solchen Momenten lernt man dann die deutsche Reserviertheit zu schätzen - bei uns geht einem wenigstens keiner auf die Ketten, und die jenigen, die freundlich sind, meinen es auch wirklich ernst.
Anfänglich schien sogar mein abendliches Entertainment-Programm meine Einschätzung von Marrakesch zu teilen, denn zum Abschalten habe ich diesmal ein paar alte Staffeln von "The Amazing Race" dabei - unter anderem Staffel 25, in der die Teams zwei Tage in Marrakesch verbrachten, wo sich Misti und Jim mit dem Fazit "We're so excited to go to Sicily because the last thing we wanted was to see Marrakech another day." verabschiedeten, aber: Sie hätten mal noch Tag 3 abwarten sollen. Denn wenn man sich einmal daran gewöhnt hat, dass hier eine Hand die andere wäscht, wenn man sich selbst vertraut, wenn man sich keine Ziele mehr setzt und sich stattdessen darüber freut, wenn man überhaupt irgendwas findet, wenn man so halbwegs eine Idee bekommen hat, wo man ist, und wenn man die ganzen "Ey, my friend! Ey! Ey! Sorry! My friend, ey!"s einfach ausblendet, dann wird aus der anfänglichen maßlosen Überforderung ein wunderbares Erfolgserlebnis und plötzlich möchte man gar nicht mehr weg aus den Souks und vom Djemaa el Fna, erst recht nicht, wenn es dunkel ist.
Werde ich also morgen mit gemischten Gefühlen weiter reisen, und verbleibe mit folgenden Reisetipps für Marrakesch:
1. Eine gute Unterkunft in Marrakesch ist Hafen und Anker zugleich, denn wenn man von all dem Trubel, dem permanenten Hupen sämtlicher Verkehrsteilnehmer und der unerbittlichen Mittagssonne in eine idyllische Herberge fliehen kann, ist man innerhalb von 30 Minuten revitalisiert und wieder bereit für den Kampf - ich persönlich fühle mich sehr wohl hier im Riad Sidi Mimoune (habe allerdings auch keinen Vergleich ;) )
2. Eine Stadt(-teil)mauer ist eine genau so gute Orientierungshilfe wie ein Fluss.
3. Wenn sie jemanden nach dem Weg fragen wollen, fragen sie Mitarbeiter des öffentlichen Nahverkehrs, Frauen ohne Schleier oder bis unter die Zähne bewaffnete Sicherheitskräfte - die helfen kostenfrei.
4. Der Zoom ist dein Freund, der Ultrazoom ist dein Ultrafreund: Sobald man zu nah an einem Motiv ist und es fotografiert, kommt garantiert irgendjemand angerannt, der dafür einen kleinen Unkostenbeitrag haben möchte.
5. Im Zweifelsfall hilft es nur, so zu tun, als würde man weder Englisch noch Französisch verstehen und am besten wirres Zeug auf Sächsisch zu brabbeln - für alle anderen Ausreden haben Händler schon die passende Antwort. ("Du bist Student? Kein Problem! Diesen Teppich kannst du zu Hause für's Doppelte verkaufen!", "Du reist nur mit Handgepäck? Kein Problem! Kennst du FedEx?")
So. Und wenn ich dann noch gegoogled habe, ob zwei junge Männer im Islam Händchen halten dürfen, weil das im Islam irgendwas Unverfängliches bedeutet, oder ob hier der Fortschritt um sich greift, wird es auch schon wieder Zeit zu packen und ins Bett zu gehen, denn morgen startet der Sahara-Express in aller Herr-Allahs-Frühe und dann wird hier endlich mal richtig gewandert!
In diesem Sinne: Tisbah alal-khair, bonne nuit oder einfach nur
*plöpp*
4 Kommentare:
schön geschrieben, ich habe dich tatsächlich freundlich wirr sächsisch brabbelnd vor Augen :) Schönen Urlaub!! Suse
.gute vorsätze sind gut, sagt ja schon der name
..schöne bilder
...interessanter bericht
....und besten dank für die durchnummerierten hinweise für den etwaigen aufenthalt vor ort
.....gruß aus der heimat
......;o)
Danke, danke :D
Bei etwaigem Aufenthalt vor Ort gern vorher nochmal persönlich anfragen, mir kommen jeden Tag neue Tipps ein, die ich gern weiter geben würde. Einen Reise-Flammenwerfer gegen die Fliegen zum Beispiel ;)
Grüße aus Afrika! ^_^
Toller Bericht! Und deinen Reisetipp "Eine Stadt(-teil)mauer ist eine genau so gute Orientierungshilfe wie ein Fluss." muss ich mir merken. Da steckt viel Wahrheit drin! :)
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