31.10.2016

Du brauchst nur ein bisschen Leichtsinn...


Ich habe da ja so ein bisschen einen Sprung in der Schüssel, und bevor der so lange größer wird, bis die Schüssel irgendwann komplett zerspringt, lasse ich mir ab Februar von einem multiprofessionellen Team qualifizierter Schüsselexperten mal etwas intensiver helfen - aber davon erzähle ich dann mehr, wenn es so weit ist. In der Zwischenzeit wird mich das Schüsselthema aber wahrscheinlich noch ein bisschen stärker verfolgen, denn zum einen sind einige der schonmal geklebten Scherben durch die Geschehnisse der letzten Wochen wieder aus der Schüssel gebrochen, und zum anderen macht man sich natürlich auch viele Gedanken, wenn man sich einmal dazu durchgerungen hat, sich doch mal in die Klinik für kaputte Schüsseln einweisen zu lassen. Und dann freut man sich, wenn man dem Thema auch in der Populärkultur begegnet und feststellt, dass hier und da am Stigma gerüttelt wird. Mein allerliebstes Beispiel ist zwar aktuell die Netflix-Serie "Lady Dynamite", die es schon seit Mai gibt, die ich aber jetzt erst begonnen habe, zu schauen, nachdem ich mich erinnerte, dass Jochen Schropp die mal empfohlen hatte, aber zu dieser Serie muss ich mal einen eigenen Post machen. Wahrscheinlich werden das meine 826 liebsten Screenshots, wenn ich alle Folgen durch habe. Damit ihnen bis dahin aber nicht langweilig wird, an dieser Stelle erstmal das, was bei Facebook immer keine Sau interessiert: Musik! Yay!



Da hätten wir zum einen Tim Bendzko (YouTube Channel), der in den gut sortierten Musikbibliotheken des Landes aktuell mit seinem neuen Album "Immer Noch Mensch" vertreten ist. Das ich mir angehört habe, und bei dem ich mich wieder sehr darüber geärgert habe, dass ein so unfassbar schöner Mann so schöne Texte schreibt, nur um die dann alle in diesen elenden Vier-Viertel-Takt zu pressen und damit kaputt zu machen. Oder vielleicht ist es auch kein Vier-Viertel-Takt, ich weiß leider immernoch nicht, wie das heißt, was für mich jeden Song kaputt macht, aber wissen sie, was ich meine? Diesen Rhythmus, bei dem man vor seinem geistigen Auge alte Leute im Fernsehgarten munter auf 1, 2, 3 und 4 mitklatschen sieht? Naja, egal, auf jeden Fall haben wir bei Dreamboat Bendzko das große Glück, dass er seine Songs auch gern mal ohne alles außer mit Piano-Begleitung einsingt, und dann sind die nämlich grandios. So wie im hier zur Verfügung gestellten Beispiel "Leichtsinn" vom bereits erwähnten, aktuellen Album.

Tim singt:

"Du stellst alles in Frage
obwohl du so für deine Sache brennst,
hast schon so vieles geleistet,
auch wenn es niemand richtig anerkennt.

Auf deinem Weg liegen Steine
die dich und deine Zukunft trennen.
Wem willst du was beweisen?
Spring einfach drüber hinweg.

Du kannst das Leben leicht nehmen,
auch wenn es das nicht ist
-
brauchst nur ein bisschen Leichtsinn
und du kannst sein, wer du willst.

Lass dich nicht täuschen,
denn nichts ist das, wofür du es hältst.
Was du jetzt bräuchtest
ist 'n bisschen Fantasie und der Schleier fällt.

Die Last auf deinen Schultern
ist Gepäck, das du hier nicht brauchst.
Wenn niemand dir beim Tragen hilft
pack die Steine einfach wieder aus.

Du kannst das Leben leicht nehmen,
auch wenn es das nicht ist -
brauchst nur ein bisschen Leichtsinn
und du kannst sein, wer du willst.

Egal, ob du dich klein fühlst,
wenn du allein bist,
wenn dir irgendwas fehlt,
wenn nichts die Lücke füllt -
brauchst 'n bisschen Leichtsinn
und du kannst sein, wer du willst.

[...]"

...und wie der wache Leser vielleicht schon bemerkt hat: Ein paar Zeilen habe ich hervorgehoben. Denn neben der Tatsache, dass Tim Bendzko von einer Person singt, die in ihrem Leben an Zweifeln strauchelt, was für die Öffentlichkeit des Themas schön ist (und ja, ich habe geweint beim ersten Hören), zeigen die hervorgehobenen Zeilen, was so ein bisschen symptomatisch für all diese Songs ist: Man erkennt das Problem, aber man versteht es nicht. Spring einfach über die Hürden, nimm das Leben leicht, pack' die Steine einfach wieder aus - das sind die Floskeln, aus denen die Albträume eines jeden Betroffenen sind, der endlich mal ernst genommen werden möchte.



Noch anmaßender finde ich allerdings Mark Forster in seiner aktuellen Single "Chöre", die gleichzeitig auch Titelsong des Kinofilms "Willkommen bei den Hartmanns" ist, wenn er singt:

"Warum machst du dir 'nen Kopf,
wovor hast du Schiss,
was gibt's da zu grübeln,
was hast du gegen dich?
Ich versteh' dich nicht.

Immer siehst du schwarz
und bremst dich damit aus,
nichts ist gut genug,
du haust dich selber raus.
Wann hörst du damit auf?

[...]

Hör auf dich zu wehren,
das macht doch keinen Sinn,
du hast da noch Konfetti
in der Falte auf der Stirn.
Warum willst du nicht kapieren.

[...]"

I mean...
Jemandem seine eigene Gefühlswelt noch zum Vorwurf zu machen und als Lösung vorzuschlagen, sich einfach mal zusammenzureißen, das ist als Kardinalfehler im Umgang mit gesprungenen Schüsseln eigentlich so weitläufig bekannt, dass inzwischen sogar meine Großeltern wissen, dass sie damit nicht weiter kommen.

Der Weg zu einem echten Verständnis für tiefgreifende, psychische Beeinträchtigungen, mit denen man nicht "einfach mal aufhören" kann, ist also noch ein langer, und ich fürchte auch, dass die Lieder, die das dann begriffen haben, noch ein bisschen auf sich warten lassen.

Aber damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich wollte diese zwei Songs gern mit ihnen teilen, weil ich sie toll finde. Denn auch wenn die Texte an manchen Stellen vielleicht nicht meine ungeteilte Zustimmung finden: Die Musik in diesen schön gemachten Songs hat einen großen Anteil daran, dass ich auch nach wie vor von einem Tag zum nächsten komme. Und um keinen Preis möchte ich diese Wirkung auf mein Seelenheil missen.

Und weil wir uns gerade daran erinnert haben, wie wunderschön Tim Bendzko ist und wie sehr wir seine Lieder mögen, wenn sie nur am Piano begleitet werden, hier als Bonustrack zum Blogpost nochmal "Ich laufe" in der Pianoversion, einfach so, weil es schön ist, und weil man es so hervorragend laut mitsingen kann:



*plöpp*

1 Kommentar:

dan92 hat gesagt…

Du bist nicht der Einzige mit nem Sprung in der Schüssel ;). Wie das mit dem über die Steine springen geht, muss wohl jeder selbst im Laufe seines Lebens herausfinden. Die Metaphern versagen in der Beschreibung tatsächlich ziemlich schnell.

Die unter den Therapieakronymen zusammengefassten Methoden können auf jeden Fall helfen, ich wünsche Dir viel Erfolg beim Schüsselkitten! Und zur Not mal die Reclamhefte mit den antiken Philosophen herausholen oder den Buddhismus-Wikipediaartikel lesen und feststellen, dass Menschen schon immer mit so Scheiß umgehen mussten und sich irgendwie durchgewuselt haben ;).

Auf jeden Fall immer gut, einen neuen Eintrag von Dir zu lesen, vielen Dank!