02.04.2017

Patient glücklich entlassen // Gestatten: Narziss.
[Part II]



Diesmal gibt es keine Pausen!
Wobei. Eins meiner Therapiethemen ist auch, bewusst Pausen zu schaffen.
Verdammt.
Aber ein weiteres Therapiethema ist für mich und alle anderen, niemals eins der beiden Extreme zu bedienen, egal, worum es geht, sondern stattdessen so oft es geht zu versuchen, den goldenen Mittelweg zu beschreiten. Und gerade entscheide ich mich bewusst gegen eine Pause ;)

Wer Teil 1 verpasst hat, zu dem geht's hier entlang, und ich schließe nahtlos an mit Teil 2 meiner Berichterstattung aus 7 Wochen stationärer Psychotherapie, musikalisch unterstützt durch Balbina mit ihrem neuen Album "Fragen über Fragen".

Balbina singt: "Unterm Strich"

ich pass nicht rein.
ich zwäng mich rein bis der knopf platzt
und mach was drüber dass es keiner ahnt.
ich bin hier falsch.
ich bin fehlbesetzt meine szene wird gestrichen,
ich hab mich bemüht.
doch will ich sein wie ein anderer?
will ich sein wie ein anderer?
und unterm strich bleib nur ich,
übrig.
und unterm strich bleib nur ich,
übrig.

Nach drei Wochen hat man im Haus 18 seinen so genannten Fokus - einen Zwischenbericht, in dem alle Therapeuten zunächst die komplette Anamnese des besprochenen Schützlings zu lesen bekommen und dann besprechen, wie sie den Schützling in den drei Wochen so wahrgenommen haben, was deutlich wurde und wie der weitere Therapieverlauf sich orientieren wird. Und während ich keinerlei neue Diagnosen oder aufregenden Fremdwörter präsentiert bekam, auf die ich so ein bisschen gehofft hatte, war die Liste psychischer "Symptome" und ihrer jeweiligen Ausprägung relativ lang. An erster Stelle stand "überangepasst (schwer ausgeprägt)". Und auch, wenn mir nach drei Wochen schon ein bisschen aufgefallen war, dass ich gerne anderen ihren Müll hinterher räume und gerne die undankbaren Dienste, die sonst keiner will, übernehme, fühlte sich das für mich trotzdem irgendwie noch selbstverständlich an. Aber als dann da "überangepasst (schwer ausgeprägt)" stand, kam ich mir in meiner Aufopferungsbereitschaft und in meinem krampfhaften Verlangen, es immer allen recht zu machen, ohne dabei jemals das Gefühl zu haben, dass mir das gelingt sowie meinem Gefühl, mir alles, selbst Sympathie, erst einmal verdienen zu müssen, schon ein bisschen dämlich vor. Was aber für den weiteren Therapieverlauf dringend nötig war.



Balbina singt: "Stille"

ich bin voll von nichts.
ich bin voll von nichts.
ich bin überfüllt mit nichts.
nichts ist an mir wichtig.
ich bin richtig nichtig.
ich bin unwichtiger als unwichtig.

Sowas kommt dann nämlich dabei raus, wenn man sein gesamtes Leben auf andere ausrichtet und dabei gar nicht bemerkt, wie man selbst nach und nach aus dem eigenen Leben verschwindet bis das Ich irgendwann überhaupt keinen Platz mehr darin einnimmt. Keine Gefühle, keine Wünsche, keine Bedürfnisse - das Ich macht einfach keinen Sinn mehr. So dass sich jeder Moment meines Lebens, der sich nicht auf andere Menschen ausrichten konnte, vollkommen sinnlos angefühlt hat und jeder Abend allein auf der Couch, den ich nicht mit Serien und Bier in den Griff bekommen konnte, in Verzweiflung endete. Meine Ängste in der Einsamkeit.



Balbina singt: "Die Regenwolke"

ich mache keine lieder über liebe!
das wird auch kein lied über liebe!
kein lied über das verlieben!
und auch nicht über tiefe gefühle!
ich lass das nicht in meine nähe
das hinterlässt nur regenwolken,
nur regenwolken.
das hinterlässt nur regenwolken,
über meinen wangenknochen!
ich ertrinke ertrinke.
ich will nicht drüber singen
ich ertrinke ertrinke
-ich will nicht drüber singen-
ich ertrinke, ertrinke,
wenn ich drüber singe.

Und wenn man in sich selbst so überhaupt keinen Sinn sieht, weil man sein Leben immer an anderen Menschen ausgerichtet hat, ist es natürlich das Naheliegendste, sich nichts sehnlicher zu wünschen als einen Partner, mit dem man sein gesamtes Leben teilen kann. Über die Frage meiner Therapeutin, warum ich denn alles Gute immer an der Präsenz einer Person festmachen muss, habe ich auch lange nachgedacht. Irgendwie schien es mir legitim, sich mit 31 nach so etwas wie Familie zu sehnen. Aber wenn man einen Partner zum Lebenszweck machen möchte (wie gewisse Mütter ihre Kinder), ist das eine Verantwortung, an der dieser Partner oder die Beziehung nur zerbrechen kann. Weswegen irgendwelche partnerschaftlichen Ambitionen in der Regel witzlos sind, so lange man sich nicht selbst der Liebste ist. (Was  mir inzwischen gelungen ist. Nur falls hier ein potenzieller Märchenprinz mitliest. Ich bin jetzt nicht mehr anstrengend. Ich schwör‘!)



Balbina singt: "Das Milchglas"

ich nehme viel
so gut auf wie eine weiße couch
und kriegs nicht raus.
ich sehne mich
nach einem filter, der schlimmes gut verdünnt.
ich klebe mir
tesa auf die brillengläser
und seh das leben wie monet.
ich weichzeichne all das
was mich begleitet.
radier die harten kontraste ganz weich.
ich schau mir den tag an,
wie durch milchglas.
ich erkenn das,
was ich sehen mag.
durch milchglas-
glasklar,
wie durch milchglas.

Denn wenn man versucht, einen solchen Anspruch dauerhaft aufrecht zu erhalten, tut man auch alles dafür, die Harmonie zu wahren, egal, zu welchem Preis. Harmoniesucht war ein weiteres meiner Probleme in der Therapie und im Leben. Und auch den einzigen Mann, der mich so geliebt hat, wie ich war, habe ich verloren, weil ich vor lauter Harmoniebedürfnis viel zu lange alles, was mich bedrückt hat, in mich hinein gefressen habe. Ewig habe ich mich nicht getraut, irgendwelche Fragen zu stellen oder irgendetwas anzusprechen, und die Krämpfe, die sich dadurch in mir gebildet haben, waren unerträglich. Und als dann unsere letzte Chance anbrach, hatten sich diese paranoiden Krämpfe der Ungewissheit, wie ich sie jetzt mal in Ermangelung einer schöneren Umschreibung bezeichne, schon dermaßen verselbstständigt, dass ich nur noch garstig war und er machen konnte, was er wollte, es war zu spät. Und genau so, wie es absolut selbstzerstörerisch ist, alles in sich hinein zu fressen, ist es auch kontraproduktiv, das, was dann vielleicht doch mal rechtzeitig raus kommen möchte, so weichzuspülen und zu diplomatisieren (wenn das ein Wort ist), dass es gar keine Wirkung mehr entfalten kann. Das habe ich besonders in der Konfliktkommunikation in der Therapie bemerkt. Um so deutlicher, um so besser fühlt es sich an.

So.
Und jetzt erstmal wieder Pause.
Ganz bewusst gesetzt.

Morgen gibt es nur drei Songs, aber ich komme trotzdem auf meine Zeichenzahl. Nur schonmal als kleine Vorwarnung.

*plöpp*

2 Kommentare:

Spontiv hat gesagt…

Klingt nach einem Neustart. Ich wünsche dir Durchhaltevermögen.

Christian

Octapolis hat gesagt…

Klingt... komplizierter, als es am Ende vielleicht ist. Daumen sind gedrückt, Kamerad! ;o)